Impuls vom 02.04.2021

Gründonnerstag und Lobgesang

Nun kann es also doch Ostern werden, nachdem wir eine Zeitlang fürchten mussten, dass es uns wieder so ergeht wie im letzten Jahr, als die Kirchentüren verschlossen blieben. Freilich müssen wir Einschränkungen ertragen, an die wir uns teils schon gewöhnt haben und die uns teils wirklich schwerfallen. Ich selbst vermisse zum Beispiel unheimlich, dass wir seit Monaten nicht mehr miteinander singen dürfen. Wie arm macht das auch die schönste Liturgie! Und wie sehr beeinträchtigt das diese Feier vom Letzten Abendmahl, die der Kammerchor sehr gerne in voller Besetzung gestaltet hätte – nicht nur, weil ein Jubiläum zu begehen ist – genau heute vor 25 Jahren begann es mit Euch –, sondern auch, weil das grundlegend zu diesem Abend dazugehört. Der Bericht vom Letzten Abendmahl endet in den Evangelien mit dem Satz: „Nachdem sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie zum Ölberg hinaus.“ (Mk 14,26)

Jesus und die Jüngerinnen und Jünger haben gesungen an diesem Abend. Zum jüdischen Pascha-Mahl gehört das bis heute, dass Psalmen – das Hallel – gesungen werden und am Schluss fröhliche Lieder. Das wird der fromme Jude Jesus bei seinen Pessachs nicht anders gehandhabt haben. Aber auch an diesem Pascha? „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war.“ Er wusste, dass jetzt nur noch die Nacht des Ölbergs kommt und Leiden und Tod. Und da konnte er noch singen?
Das kann aber eigentlich nur den wundern, der so gar keine Erfahrung hat mit Musik und Gesang, mit dieser Sprache, die manchmal unendlich mehr ausdrücken kann als unsere armseligen Worte und unser kleiner Verstand. „In unseren Liedern kann unser Mund oft viel mehr, als unser Herz schon kann. Und manchmal schleifen die Lieder das müde Herz hinter sich her, bis es wieder auf den eigenen Beinen stehen kann.“ (Fulbert Steffensky)

Der singende Jesus beim Letzten Abendmahl – das ist ein Bild, das mich unheimlich berührt und tröstet. Es ist gibt so viel Trostloses – in Pandemie-Zeiten und weit darüber hinaus. Es gibt so viel Untröstliches – bestimmt auch bei vielen von uns hier. Das alles kennt Jesus. Das alles trägt er hinein in die Nacht und ans Kreuz. Da wird er schreien – und hat doch auch gesungen.

„Wenn einer singt“, so beginnt ein Gedicht von Eva Strittmatter. Ich möchte es Ihnen gerne vorlesen:

Wenn einer singt,
Soll er nicht nur mit seiner Seele singen.
(Dass er mit seiner Stimme singt, versteht sich von allein.)
All seine Körperzellen müssen klingen.
Verschleudern muss er sich. Es muss so sein,
Als hätte er für dieses Lied gelebt.
Für diesen Augenblick, in dem er singt.
Er muss der sein, der sich vom Boden hebt
Aus eigner Kraft. Was nie gelingt
In Wirklichkeit, muss ihm gelingen.
(Wie man das macht, verrät kein Kunstgebot.)
Wenn einer singt, so muss er singen:
Gegen die Schwerkraft und den Tod.

Das ist kein religiöses Gedicht – und trifft doch in diesem Bild des Singens genau das, was der Mann aus Nazaret war und wer er, Jesus Christus, für uns ist: Er hat sich verschleudert, ganz für seinen Gott und für die Menschen gelebt und verzehrt. Ich – für euch. Mein Leib – für euch gegeben und zerbrochen; mein Blut – für euch vergossen und verschwendet. Für dieses Lied, für diesen Augenblick im Abendmahlssaal, wo sich alles verdichtet, hat er gelebt. „Da er die Seinen liebte, … liebte er sie bis zur Vollendung“: gegen die Schwerkraft, die uns oft so sehr nach unten zieht und festhält, und gegen den Tod.

Liebe Schwestern und Brüder!
Lieder und Musik hat der hl. Augustinus einmal als „Vorspiel des ewigen Lebens“ bezeichnet. Jetzt geht es der Musik momentan ja genauso, wie es den Gottesdiensten und überhaupt dem christlichen Glauben schon länger ergeht. Man fragt sich: Braucht es das wirklich? Ist das systemrelevant? Gibt es nicht viel Wichtigeres? Aber vielleicht darf man auch fragen: Wer hätte jemals einen positiven Kassenabschluss oder eine Mathestunde als „Vorspiel des ewigen Lebens“ empfunden?
Weder ein Gedicht noch ein Kammerchor noch eine Eucharistiefeier sind nützlich und notwendig. Aber sie sind mehr als notwendig. Sie sind schön. Sie machen uns erst zu Menschen, wie Gott sie gedacht hat. Denn was wäre dieses Leben, wenn es nicht auch ein „Vorspiel der Ewigkeit“, ein „österliches Präludium“ sein dürfte?

„Nachdem sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie zum Ölberg hinaus.“
Ich freue mich sehr, dass wir zwar momentan nicht singen, aber doch Ostern feiern dürfen. Lasst uns Ostern feiern gegen die Schwerkraft und gegen den Tod!

(Predigt in der Feier vom Letzten Abendmahl, TS 1.4.2021)