Impuls vom 24.12.2021
"... noch weiter auf den Herrn zu"
Liebe Christinnen, liebe Christen!
„Engel begleiten uns durch den Advent“, hat die kleine Reihe geheißen, mit denen wir in den letzten Wochen die Lichter-Rorate gestaltet haben. Nun sind wir in der Christmette beim Engel angelangt, der den Hirten die „große Freude“ verkündet, und beim „großen himmlischen Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Und so möchte ich auch jetzt in der Christmette noch einmal mit Engeln anfangen und Ihnen eine Geschichte von Siegfried Macht erzählen: „Warum die Engel Halleluja singen“.
Lange bevor die Sonne und der Mond, die Erde und die Sterne geschaffen wurden, waren bei Gott die Engel. Und weil viele der Engel gar nicht so recht wussten, was sie die ganze lange Ewigkeit tun sollten, versammelten sie sich eines Tages um den Herrn des Himmels und baten ihn, dass er sich doch etwas von ihnen wünschen solle.
Der aber, als hätte er nur darauf gewartet, sprach: „Rückt alle ein wenig mehr zusammen, aber so, dass jeder jedem am nächsten steht.“ Also rückten sie alle einander näher, aber – oh weh: Kaum rückte der eine seinem rechten Nachbarn näher, war er vom linken nur umso weiter entfernt. Und rückte er auf diesen zu, so musste er jenen allein lassen.
Nachdem sie so eine Weile ratlos hin und hergegangen waren und in einem großen weiten Kreis um den Herrgott standen, da endlich sprach Gabriel: „Nicht nach rechts oder links lasst uns gehen, sondern noch weiter auf den Herrn zu, soweit es irgend geht, so kommen wir auch einander näher, dass es näher nicht geht.“
Und – gesagt, getan – fanden sich alle zum engsten Kreis und singen seitdem ihr „Gelobt sei Gott“. Nicht etwa, weil Gott des Lobes bedürfe wie ein König, der eitel ihn zu rühmen auf die Tagesordnung setzt – nein, sondern weil sie nirgendwie anders alle einander so nahe kamen wie im Zugehen auf Gott.
„Rückt alle ein wenig mehr zusammen!“ Wie gerne würde ich das hier auch sagen, allein schon deswegen, damit alle einen Platz hätten finden können, die gerne in diese Christmette gekommen wären. Ich darf es nicht sagen, denn Corona zwingt uns immer noch zum Abstandhalten. Gut tut uns das nicht: äußere Distanz wird schnell auch zur inneren, und wenn dann auch noch die Maske das Gesicht verhüllt und man wieder kaum noch singen darf, ist es nicht ganz leicht, hier tatsächlich echte Freude zu erfahren und so etwas wie Gemeinschaft.
Auch unserer Gesellschaft tut das nicht gut. Es erschreckt einen, wie tief manche Gräben geworden sind, die Menschen voneinander trennen. Da geht es gar nicht mehr um verschiedene Meinungen und Sichtweisen, sondern nur noch um Wut und Abscheu. Aber vielleicht bringen Corona und die Frage des Impfens nur offen zu Tage, was schon lange ein Problem ist – bei den Diskussionen um Flüchtlinge und Migration, um den Klimawandel, um die Gender-Frage, um das, was unsere Gesellschaft oder unsere Kirche tatsächlich ausmacht, ist es ja oft ganz ähnlich. Und je aggressiver die Standpunkte aufeinander prallen, umso deutlicher wird, wie brüchig gesellschaftlicher Friede und Zusammenhalt sein können und wie schnell etwas ins Rutschen gerät.
„Rückt alle ein wenig mehr zusammen, aber so, dass jeder jedem am nächsten steht“, sagt Gott in der Geschichte den Engeln. Das gelingt ihnen aber erst, als sie auf ihn, den Herrn zugehen und immer mehr zur Mitte kommen.
Das klingt sehr fromm und schlicht, aber letztlich ist das das Geheimnis der Heiligen Nacht. Das ist der unkaputtbare Kern von Weihnachten: dass hier die tiefste Menschlichkeit – denn was könnte menschlicher sein als ein kleines Kind – und die tiefste Gotteserfahrung tatsächlich in eins fallen. Seitdem Gott Mensch wurde, gilt: Wer auf Gott zugeht, ist den Menschen nahe. Und wer auf die Menschen zugeht, ist immer – ob er es weiß oder nicht – auch Gott nahe.
Wir tun oft so, als wären das Gegensätze. Viele unserer Zeitgenossen können mit Gott nichts mehr anfangen, weil sie fürchten, das würde ihnen etwas wegnehmen, ihre Freiheit einschränken, das Menschliche beschneiden. Seien wir ehrlich: So ist Gott ja auch oft gepredigt worden, und noch jede Religion und auch die Kirche hat in ihren schlechteren Phasen versucht, im Namen Gottes den Menschen klein zu machen. Noch heute fürchten manche, wenn Christen sich zu sehr auf die Menschen und ihre Nöte und ihren Zwiespalt einlassen, drohten Gott und der Glaube in den Hintergrund zu treten.
Ich verstehe gar nicht, wie man seit Betlehem in solchen Gegensätzen denken kann, wo es doch schon die Engel gesungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“. Tomas Halik bringt es so auf den Punkt: „Gott prägt unser Menschsein, indem er sich selbst entäußert. Das Menschsein ist der heilige Ort, an dem Gott uns begegnet. In diesem weihnachtlichen Glauben sagen wir, dass jeder, der sein eigenes Menschsein und das Menschsein der anderen als eine Gabe und Berufung dankbar und verantwortlich annimmt, bereits dadurch Gott begegnet.“
Und übrigens auch in den Menschen Gott begegnet, zu denen er in großer Distanz steht, die er tatsächlich nicht verstehen kann und einfach nicht mag. Auch ihr Menschsein hat Gott angenommen.
Liebe Schwestern und Brüder!
An Weihnachten darf man solche Dinge ungeschützt sagen – und sie sogar glauben. In der Heiligen Nacht darf man es den Engeln gleich tun und so schön und festlich, wie es nur irgendwie geht, Gottes Lob singen. „Nicht etwa, weil Gott des Lobes bedürfe wie ein König, der eitel ihn zu rühmen auf die Tagesordnung setzt – nein, sondern weil sie nirgendwie anders alle einander so nahe kommen wie im Zugehen auf Gott.“
Fürchten wir uns nicht davor, auf Gott zuzugehen. Fürchten wir uns nicht davor, als Menschen ein wenig näher zusammenzurücken. Gott hat sich auch nicht davor gefürchtet. Er ist Mensch geworden.
(Das Märchen von S. Macht steht in: Stephan Goldschmidt (Hg.), Weihnachtsworte, Vandenhoeck & Ruprecht 2013, S. 96. Das Zitat: Tomas Halik, Weil Gott sich sehnte, Mensch zu sein. Weihnachtliche Meditationen, Benno Verlag 2021, S. 24ff)