Impuls vom 10.12.2021

Musikalischer Adventskalender 3

Für die 3. Adventswoche singt in unserem kleinen „musikalischen Adventskalender“ Herr Stephan Becker, begleitet von Joachim Schreiber, eines der neueren Adventslieder, die in unserem Gotteslob stehen: „O Herr, wenn du kommst“ (Nr. 233).






„O Herr, wenn du kommst“ - alle vier Strophen beginnen so. Schnell ahnt man, dass damit sicher nicht bloß die Geburt Jesu in Betlehem gemeint ist, sondern auch und vor allem der Advent, die Ankunft Christi am Ende der Zeiten, so wie wir es im Credo bekennen: „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen ...“ - Was aber bedeutet das? Wie wird das sein, wenn er kommt?

Das habe ich mal in der Schule Drittklässler gefragt; von Kindern bekommt man ja oft die besten Antworten. „Wenn Jesus kommt, dann ...“ - so haben sie diesen Satz u.a. fortgesetzt: „Wenn Jesus kommt, dann wäre es wieder normal auf der Welt. Dann stehen die Toten auf und ich sehe meine Oma wieder. Dann werden die Bösen endlich zu Guten. Dann muss man nicht mehr streiten. Dann gibt es keinen Krieg mehr. Dann muss keiner mehr leiden und die Kranken werden gesund. Dann ist die Welt wieder neu gemacht und gut.“
Erstaunlich, wie selbstverständlich Kinder so antworten können. Sie sagen in ihren eigenen Worten genau das, was in der Bibel steht. Die Heilige Schrift ist voll mit solchen Verheißungen, und in jedem Advent hören wir von ihnen: von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden; vom Wolf, der beim Lamm wohnt; vom Leben, das sich durchsetzt; vom endgültigen Trost.
Wir hören von diesen großartigen Versprechungen, wir besingen sie in unseren Liedern – und fragen uns dabei doch immer leise: So schön das alles klingt – aber wann soll das denn sein? Hat sich das erfüllt, als Jesus gekommen ist? Oder geschieht das erst am Ende, nach dem Tod?

Dieses Spannungsverhältnis von „schon“ und „noch nicht“ hat die Christen immer schon umgetrieben: Jesus ist schon gekommen, das Reich Gottes ist schon angebrochen, zweifellos hat sich diese Welt schon verändert. Aber es ist noch nicht vollendet, noch nicht erfüllt.
Und genau davon handelt das Adventslied von Helga Poppe. Zweifellos singt sie – mit vielen biblischen Anspielungen – von der Endzeit, von der großen Zukunftsvision, wo die Welt wieder neu wird, wo das Fest ohne Ende für uns bereit steht. Aber einfach aufs Jenseits vertrösten will sie nicht: „O Herr, wenn du kommst, wird die Welt wieder neu, denn heute schon baust du dein Reich unter uns.“

Schon – und noch nicht. Wie sagten die Kinder: „Wenn Jesus kommt, dann muss keiner mehr leiden.“ Es leiden aber, obwohl er gekommen ist, immer noch so furchtbar viele auf oft so schreckliche Weise. Und zugleich wissen wir – eine wunderbare Formulierung: „Das Leid wird von all deiner Klarheit durchstrahlt“, es ist nicht das Allerletzte und völlig Sinnlose. Diese Spannung auszuhalten: Das ist Advent. Das ist Advent in seiner tiefsten Bedeutung.
Und darum ist dieses Lied so schön: Es geizt nicht mit einer wunderbaren Vision – aber es bietet keine platten Lösungen. Nur dieses Eine kann es anbieten: Poesie – und eine Melodie, die in Moll steht, dann aber mit geradezu zielstrebiger Gewissheit in Dur endet, zweimal wiederholt, wie eine Geste des Hoffens: „O Herr, wir warten auf dich.“

Wolfgang Beinert drückt es so aus: „Ist das Entscheidende schon geschehen? Ist Christus das Heil der Welt? Ist diese unheile Welt im geheimen doch schon heil? Ist der Bereich unseres Erlebens nur die Oberfläche, an der alles brodelt und kocht und durcheinandergeht? Und ist darunter und dann auch schon darin das Reich des Friedens, die Ruhe, das Ganze gegeben? Ist uns im Warten schon die Erfüllung zuteil? - Advent stellt viele Fragen. Man muss sich ihnen furchtlos stellen. Die Feier des Advents könnte die Antwort geben, auf die wir warten.“