Impuls vom 17.03.2021

Der ersetzte Sabbat

„‘Der ersetzte Sabbat‘. Verkündigung in Coronazeiten“: So heißt ein Buch unseres Bischofs Rudolf Voderholzer, das er im Herbst herausgegeben und großzügiger Weise allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Bistums geschenkt hat.
„Der ersetzte Sabbat“ – was soll das sein? Nun, das erschließt sich dem, der vorhin bei der ersten Lesung (2 Chr 36,14-16.19-23) gut zuhören konnte. Da ging es um eines der einschneidendsten Ereignisse in der Geschichte des Volkes Israel: die Eroberung Jerusalems durch die Chaldäer, die Zerstörung des Tempels und die Deportation vieler Menschen nach Babylon. Das war für das Volk, das doch Gott selbst sein besonderes Eigentum nannte, ein ungeheurer Schock. Wie hat es bloß dazu kommen können? An zahllosen Stellen des Alten Testaments sieht man, wie mit dieser Frage gerungen wurde. Man verstand die Jahre in der babylonischen Gefangenschaft als eine Zeit der Buße und Umkehr, der Neubesinnung – des Nachdenkens darüber, wer man eigentlich sein will.
Und da sind wir jetzt bei unserer Lesung – übrigens die allerletzten Verse der jüdischen Bibel und darum von besonderem Gewicht: „Das Land bekam seine Sabbate ersetzt“, heißt es da. Das nimmt Bezug auf eine Prophezeiung im Buch Levitikus: „Euer Land wird zur Wüste und eure Städte werden zu Ruinen. Dann erhält das Land seine Sabbate ersetzt, … während ihr im Land eurer Feinde seid. Dann hat das Land Ruhe und erhält Ersatz für seine Sabbate. Während der ganzen Zeit der Verwüstung hat es Sabbatruhe, die es an euren Sabbaten nicht hatte, als ihr noch darin wohntet“ (Lev 26,33-35).
Ihr habt den Sabbat nicht gehalten, heißt das also, obwohl Gottes lebensförderndes Gebot es so verlangte. Die Zwangspause im Exil hat also auch ihr Gutes: für das Land endlich die Ruhe, die es braucht und die ihm solange vorenthalten wurde. Und für die Menschen auch.

Kein Wunder, dass unserem Bischof beim Nachdenken über die Corona-Krise gerade diese Bibelverse eingefallen sind. Nach einem vollen Jahr der Pandemie, der Hygiene-Regelungen und Einschränkungen fragt man sich ja nun wirklich, was diese Prüfung bloß für einen Sinn haben soll – oder zumindest, was wir aus ihr lernen könnten. Unser Bischof fragt sich das auch und schreibt darum über den „ersetzen Sabbat“:
„Der Sabbat steht dabei nicht nur legalistisch für die Einhaltung bestimmter Ruhevorschriften und Verbote, sondern für ein Leben im Einklang mit dem Schöpfergott und seiner Schöpfung. (…) Auf die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag folgt der siebte Tag als Ruhetag. Der göttliche Ruhetag als Vorbild und Maß für den Menschen. (…) Der Segen, der vom Sabbat ausgeht, die mit ihm verknüpften Sinngebungen, sie gelten auch für den christlichen Sonntag als Tag der Auferstehung. Ein Tag der Ruhe, der Ausrichtung auf Gott, der Versammlung und der Gemeinschaft. Sollen uns vielleicht tatsächlich jetzt die Sonn- und Feiertage wiedererstattet werden, die wir unachtsam und undankbar allen möglichen Aktivitäten und Beschäftigungen geopfert haben?“

Ist also das der SINN von Corona? Selbstverständlich nicht; so eine Erklärung wäre bei all dem Leid, das das Virus schon verursacht hat, eher zynisch. Aber natürlich kommt ein gläubiger Mensch nicht darum herum, das Ganze irgendwie zu deuten, irgendwie in seinen Glauben einzuordnen. Und da gefallen mir diese drei Denk-Anregungen unseres Bischofs ganz gut:
Die erzwungene Ruhe, die wir dem Land, der ganzen Schöpfung und uns selbst viel zu lange vorenthalten haben.
Eine Krise als Anlass, darüber nachzudenken, wer man wirklich sein und wie man sich neu an Gott ausrichten will.
Und nicht zuletzt ein Nachdenken darüber, wie ein Leben geht im Einklang mit der Natur, also mit dem Schöpfergott und seiner Schöpfung.
Man könnte es auch mit den Worten ausdrücken, die Papst Franziskus vor einem Jahr als Bußgebet formuliert hat: „In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden.“

Liebe Schwestern und Brüder!
Der ersetzte Sabbat. Der geschenkte Sonntag – schon seit 1.700 Jahren. Vielleicht wäre es ein erster, kleiner Schritt, unseren Sonntag tatsächlich so zu sehen und zu leben: einfach als Geschenk der Ruhe, als Geschenk der Freiheit. Wie sonst könnte eine Neubesinnung beginnen?!


(Predigt am 4. Fastensonntag zu 2 Chr 36,14-16.19-23.
Vgl. Rudolf Voderholzer, "Der ersetzte Sabbat. Verkündigung in Corona-Zeiten, Regensburg 2020)