Impuls vom 18.07.2021
Hirtenbrief zur Corona-Pandemie und ihren Folgen
Liebe Kinder, liebe jugendliche und erwachsene Schwestern und Brüder im Herrn!
1. „Kommt, […] ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Mit diesen Worten lädt Jesus seine Apostel ein, sich mit ihm an einen einsamen Ort zurückzuziehen, auszuspannen und sich zu erholen. Er hatte sie – das haben wir im Evangelium des letzten Sonntags gehört (Mk 6,7-13) – ausgesandt zu predigen, zur Umkehr aufzurufen, zu heilen und die Kranken zu salben. Jetzt kommen sie mit ihren ersten pastoralen Erfahrungen zurück und tauschen sich untereinander und mit Jesus aus.
2. Bevor auch uns die Schulferien Zeit zum Ausspannen und zur Erholung schenken, ist es mir ein Anliegen, mich an Euch und Sie alle zu wenden und um Austausch und Mitarbeit zu bitten.
Mich bewegt vor allem die Frage: Wie gehen wir als Gesellschaft insgesamt und besonders natürlich als Kirche in den Pfarrgemeinden und den verschiedenen anderen Lebensbereichen mit den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie um? Wie können die vielen Wunden, die uns das Virus und seine Bekämpfung – auch in Gestalt mancher Verhärtung und Polarisierung – geschlagen hat, geheilt werden?
3. Bevor ich ein paar Punkte im Einzelnen benenne, möchte ich Ihnen allen von Herzen danken für Ihre Geduld, für Ihre Disziplin und Ihr Verständnis, dass wir gerade auch als Kirche die staatlichen Corona-Regeln beachtet und so unseren Beitrag geleistet haben zur Bewältigung der Pandemie.
Ich danke den Pfarrern und allen, die mit ihnen Verantwortung tragen, für das hohe Maß an Einfallsreichtum und für das zusätzliche Engagement, womit sie der herausfordernden Situation begegnet sind. „Wir lassen nichts ausfallen, wir lassen uns etwas einfallen!“ Dieses Motto hat sich bewährt.
Viele haben sich ehrenamtlich beim Begrüßungsdienst, beim Aufräumen und Reinigen der Kirchenbänke, beim Organisieren von Messfeiern und anderer Veranstaltungen im Freien, bei der Bereitstellung von Materialien für die Hauskirche oder im technischen Bereich engagiert, um nur ein paar der vielen Tätigkeitsbereiche zu nennen.
Ein großer Dank gilt allen, die sich in den Alten- und Pflegeheimen, in den Caritas-Sozialstationen und in den Krankenhäusern aufopferungsvoll um kranke und alte Menschen gekümmert haben und oft genug, angesichts der Kontaktbeschränkungen, die einzigen Bezugspersonen waren.
Den Religionslehrerinnen und -lehrern habe ich schon in einem eigenen persönlichen Brief gedankt und ich bekräftige diesen Dank heute noch einmal.
4. In der Stunde, da ich diese Zeilen formuliere und in Bild und Ton aufnehme, bemühen wir uns auf der Ebene der Freisinger Bischofskonferenz zu erreichen, dass in der Kirche zumindest die Maske abgenommen werden kann, wenn man sich an seinem Platz befindet. Es ist unverständlich, warum diese Maßnahme in der Kirche notwendig sein soll, während man beispielsweise im Restaurant auf viel engerem Raum und oft auch für viel längere Zeit beisammen sein kann, ohne den Mund-Nase-Schutz zu tragen. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Erleichterung für Sie bei den politisch Verantwortlichen bald erreichen können.
5. Am vergangenen Mittwoch wurde die Kirchenstatistik für das zurückliegende Jahr 2020 veröffentlicht. Ich war sehr erleichtert, als ich die Zahlen für das Bistum Regensburg vorgelegt bekam. Denn obwohl uns seit Anfang März 2020 die Corona-Pandemie erheblich eingeschränkt hat, viele Gläubige die gottesdienstliche Versammlung aus Sorge vor einer Ansteckung verständlicherweise gemieden haben und oft auf die Übertragung per Lifestream oder im Fernsehen ausgewichen sind, obwohl auch in vielen Kirchen nur ein Bruchteil der Gläubigen Einlass bekam, nennt die Statistik für das Bistum Regensburg einen durchschnittlichen Kirchenbesuch von 10,0 % gegenüber 14,2 % im Vorjahr. Das ist zwar knapp ein Drittel weniger. Dennoch: Mit diesem verhältnismäßig guten Ergebnis hatte ich nicht gerechnet. Wenn man bedenkt, dass die Beteiligung über die digitalen Formate dabei nicht erfasst ist, ist dies eine sehr erfreuliche Zahl.
Danke allen, die vielerorts für ein vermehrtes Angebot an Messfeiern Sorge getragen haben! Das ist sicher auch ein Grund, dass die Feier des Sonntags als Mitte unserer kirchlichen Praxis so gut aufrechterhalten werden konnte.
Was die Kirchenaustrittszahlen betrifft, so sehen wir im vergangenen Jahr einen gewissen Rückgang, dem freilich wieder ein Anstieg in diesem Jahr folgen wird.
6. Wenn auch die Statistik für das zurückliegende Jahr weniger dramatisch ausfällt als zu befürchten war, so müssen wir doch realistisch bleiben und feststellen, dass das kirchliche Leben oftmals sehr gelitten hat.
Wir sehen einen deutlichen Rückgang des (v.a. sonntäglichen) Kirchgangs bei großer Ungewissheit, wie sich die Rückkehr der Ferngebliebenen nach Ende der Pandemie gestalten wird.
Wir sehen auch einen Rückgang des sakramentalen Lebens, was Taufen, Eheschließungen und die Beichte betrifft. Taufen und Hochzeiten werden, so höre ich, jetzt schon kräftig „nachgeholt“. Danke auch dafür!
Die Pandemie hatte, vor allem in ihren dramatischen Phasen, zur Folge, dass eine würdige Verabschiedung der Verstorbenen nur schwer möglich war ebenso wie eine angemessene Trauerarbeit und die Begegnung im Anschluss an Requiem und Beerdigung. Ich sehe hier die Notwendigkeit einer intensivierten Gebets- und Erinnerungskultur für die Verstorbenen etwa in Form eines Jahresgedächtnisses.
Am meisten haben die Kinder und Jugendlichen unter der Pandemie zu leiden. Die Arbeit in den Kindergärten, den Jugendverbänden und die Mühen der für die Ministranten- und Sternsingerbegleitung Verantwortlichen verdient größte Anerkennung!
Große Sorge macht mir, dass der Religionsunterricht vielen Einschränkungen unterlag, und dass auch die anderen Formen der Katechese trotz vieler Bemühungen nur sehr reduziert möglich waren.
Aufgrund des Sing- und Proben-Verbotes sind viele Chöre (Kirchenchöre, Jugendchöre, Kinderchöre bis hin zu den professionellen Chören) zerstreut.
Ähnliches gilt für Gruppen und Kreise auf pfarrlicher Ebene und in den Verbänden, wobei die ersatzweise eingerichteten digitalen Formate wohl nur in begrenztem Umfang die physische Präsenz ausgleichen konnten.
Das Wallfahrtswesen hat, schon auf regionaler und nationaler, mehr aber noch auf internationaler Ebene gewaltig gelitten.
Usw.
7. Um es in dem biblischen Bild von Hirt und Herde zu formulieren, das auch im heutigen Evangelium anklingt: Corona ist wie ein reißender Wolf in die Herde eingebrochen und hat Durcheinander und Zerstreuung verursacht. Den Hirten und uns allen ist es jetzt aufgetragen, die Herde, das heißt die zerstreuten Gruppen und Kreise wieder zu sammeln.
8. Genau in diese Situation hinein kommt uns Rom zuhilfe. Mario Kardinal Grech, Generalsekretär der Bischofssynode, hat die Bistümer eingeladen, sich an der Vorbereitung der nächsten Bischofssynode zu beteiligen, die im Herbst 2023 stattfinden wird. Sie wird dem Thema „Für eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ gewidmet sein. Für den Monat September ist uns ein Fragebogen in Aussicht gestellt. Mit ihm sollen die Beiträge der einzelnen Diözesen erhoben werden.
9. Der diözesane Prozess wird am Sonntag, den 17. Oktober 2021 mit einer Vesper in unserem Dom beginnen. Die Bischöfe sollen die Fragen vor allem mit den vom Kirchenrecht vorgesehenen Räten erörtern: Das sind der Diözesanpastoralrat, der Priesterrat und das Domkapitel. Ich möchte für das Bistum Regensburg auch noch das Diözesankomitee hinzunehmen. Gegen Ende des Jahres sollen die Ergebnisse gebündelt weitergereicht und zunächst auf nationaler, schließlich auf kontinentaler, also europäischer Ebene ausgewertet werden, ehe sie dann auf der weltweiten Ebene in die Bischofssynode einfließen.
10. Ich greife diese Einladung aus Rom auf und verbinde sie mit dem Anliegen, das uns alle, auch weltweit, in der Kirche zutiefst beschäftigt: die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie für das kirchliche Leben.
Ich nenne hier nur ein paar Fragen, die um etliche weitere ergänzt werden müssten:
Wie erreichen wir die Schwestern und Brüder, die seit der Corona-Pandemie nicht mehr am kirchlichen Leben teilnehmen?
Was können wir mitnehmen von den Erfahrungen mit der neu gelernten „digitalen Kommunikation“?
Welche Formen von Katechese und Unterrichtung im Glauben können neu belebt werden?
Welche Formen von „Volksmission“ können zum Einsatz kommen?
Wie lässt sich die Hauskirche, also das geistliche Leben in den Familien, weiter unterstützen und beleben?
11. Diese und viele andere Fragen bitte ich Sie, in den Pfarrgemeinderäten, in den Vereinen und Verbänden, auch in den Familien und Nachbarschaftskreisen zu beraten, um an einer lebendigen Zukunft unserer gemeinsamen Kirche mitzuarbeiten. Gerne können Sie Ihre Ergebnisse auch an die entsprechenden Mitglieder der Räte und synodalen Gremien im Bistum weiterleiten. Ich setze mich dafür ein, dass sie bei der Beantwortung des vatikanischen Fragebogens berücksichtigt werden.
12. Im Evangelium heute hören wir, dass Jesus die zurückkehrenden Jünger zwar einlädt, sich auszuruhen. Er selbst aber lässt sich ganz und gar von der Not und der Orientierungslosigkeit der Menschen bewegen: Er hatte Mitleid mit ihnen und „er lehrte sie lange“ (Mk 6,34). Er ist der Gute Hirte, der sich als das „Lamm Gottes“ an uns verschenkt. Auf Sein Wort bauen wir, von ihm lassen wir uns führen bei unserem Bemühen, Seine Herde wieder neu zu sammeln.
Dazu segne Sie der dreifaltige Gott,
der + Vater und der + Sohn und
der + Heilige Geist.
Regensburg am Gedenktag des heiligen Bonaventura, den 15. Juli im Jahr des Herrn 2021
+ Rudolf
Bischof von Regensburg